"Prüft alles und behaltet das Gute!"
1. Thessalonicher 5, 21
Die Bibel, Einheitsübersetzung
Entscheidungen treffen wir täglich.
Kleinere meist unbewusst, größere erst nach reiflicher Überlegung.
Und doch bleibt oft ein Rest an Unsicherheit. Sogar bei den kleinen.
Ist alles bedacht und ernsthaft geprüft?
Schließlich wollen wir nicht nur das Gute, sondern möglichst das Beste.
Doch vieles ergibt sich erst im Nachhinein.
Längst nicht immer erkennen wir, ob unsere Entscheidung richtig oder falsch war.
Außerdem ist das doch auch Ansichtssache, oder?
Paulus legt der jungen Gemeinde in Thessalonich, dem heutigen Thessaloniki, ans Herz:
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
Auf seiner zweiten Missionsreise macht er in der Hauptstadt der römischen Provinz Mazedonien Station.
Sie ist ein bedeutender Handelsplatz, an dem sich die Wege unterschiedlicher Nationen und Lebenswelten kreuzen.
Dort gründet Paulus zusammen mit Silas und Timotheus eine christliche Gemeinde,
die ihren Glauben mit großer Strahlkraft nach innen und nach außen lebt.
Und doch ist Paulus beunruhigt, weil die junge Gemeinde vielen Einflüssen und Anfeindungen ausgesetzt ist.
Wie auch Paulus selbst, der aus Thessalonich fliehen musste.
In seinem vermutlich ältesten Brief überwiegen zu Beginn Erleichterung und Freude darüber,
wie reich Gott die Gemeinde beschenkt und Gottes Geist in ihr und durch sie wirkt.
Es folgen Ermutigungen und auch Ermahnungen, die gegen Ende des Schreibens darin münden:
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
Gar nicht so einfach! Erst recht für eine so junge Gemeinde.
Als Kind und Jugendliche hörte ich regelmäßig, wie wichtig es ist, Gottes Willen und seinen Plan für mein Leben zu erkennen. Oft in Verbindung mit Ermahnungen, was ein Christ darf und was nicht. Wobei die Betonung meist auf dem „was nicht“ lag. Was gut und was böse, richtig und falsch ist, schien festzustehen. Das hatten Väter und Mütter des Glaubens geprüft und weiter vermittelt an die jeweils nächste Generation. Ganz wichtig war ihnen dabei der Verweis auf die Heilige Schrift, die auch ich eifrig las.
Bald schon erkannte ich, dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt und ich nicht einfach für mich übernehmen konnte und wollte, was andere für richtig und gut befanden. Dass es nicht damit getan ist, einmal einen Standpunkt zu finden und darauf ein Leben lang zu verharren, vor allem aus Angst, sonst den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Das bedeutet, dass meine Ansichten, mein Glaube und die Art und Weise, ihn zu leben, immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Von mir selbst und auch von anderen in oft heftigen und doch fruchtbaren Gesprächen. Auch von Gott, dem offensichtlich daran liegt, dass mein Glaube und meine Beziehung zu ihm nicht erstarren, sondern lebendig bleiben.
Und immer stellte und stellt sich die Frage nach dem Unaufgebbaren, nach dem verlässlichen Fundament, das mir Halt gibt. Im Leben und im Sterben. Ob Paulus mit dem „Prüft alles und behaltet das Gute!“ nicht genau das gemeint haben könnte?
Die Künstlerin Stefanie Bahlinger vergleicht in ihrer Grafik diesen Prüfprozess mit einem Siebvorgang. Das Sieb ist in Bewegung, scheinbar ohne Zutun von außen. Eine Momentaufnahme, da einige Steine noch auf dem Siebboden liegen, obwohl sie durchfallen müssten. In Größe, Form und Farbe sind sie unterschiedlich. Wie Edelsteine schimmern die einen in rot, gelb, orange, blau, lila. Die anderen gräulich schwarzen Steine sind in der Überzahl und eher unscheinbar und klein. Die meisten sind bereits durch den Gitterboden gefallen. Warum nur die dunklen? Was beim Sieben durchfällt, hängt maßgeblich von der Beschaffenheit des Siebbodens ab, wie eng oder weit das Gitter ist. Je enger, desto weniger fällt durch. Je weiter, desto mehr. Ist unsere Erfahrung von Enge und Weite nicht eine ganz andere?
Oder meint „Prüft alles und behaltet das Gute!“, sich vor Neuem, Ungewohnten nicht zu fürchten, um es dann aus Verunsicherung vorschnell durchs Raster fallen zu lassen? Es ermutigt, alles erst einmal anzuschauen, ihm eine Chance zu geben und die Auseinandersetzung damit nicht zu scheuen.
Sei es bei gesellschaftlichen Entwicklungen und Strömungen, die sich auch auf das Miteinander in Kirchen und Gemeinden auswirken.
Sei es bei innergemeindlichen Konflikten, die durch unterschiedliche Auffassungen in Lehr- oder Gestaltungsfragen aufbrechen. Sich verbissen abzugrenzen, hindert daran, gewissenhaft zu prüfen und miteinander im Gespräch zu bleiben.
Wer hat recht und wer liegt falsch?
Richtig kompliziert wird es, wenn sich alle auf die Bibel berufen und von daher ihre Position als die einzig „schriftgemäße“ begründen. Unversehens können sich so unterschiedliche Sichten und Prüfergebnisse zu Machtpositionen entwickeln.
Dazu kam es schon in den ersten Gemeinden. Unmittelbar vor „Prüft alles und behaltet das Gute!“ schreibt Paulus:
Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann.
Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht. (1. Thessalonicher 5, 15 – 20)
So gesehen kann „Prüft alles und behaltet das Gute!“ bedeuten, immer wieder neu nach Gottes Willen zu fragen, sich von ihm prägen und leiten zu lassen.
Ist das nicht ein zu hoher, wenn nicht sogar vermessener Anspruch, Gottes Willen unter der Vielfalt anderer Vorstellungen und Entscheidungsmöglichkeiten herausfiltern zu können?
Meist ist es nicht so einfach wie in der Grafik, wo sich Edelsteine deutlich von den anderen abheben.
Paulus wird konkret und nennt einige Verhaltensweisen, die dem Willen Gottes entsprechen und zum Guten dienen.
Die bunten Edelsteine im Bild der Künstlerin können dafür stehen und jeweils Unterschiedliches bedeuten.
Die einen: Vergeltet nicht mit gleicher Münze, wenn ihr meint, dass euch jemand schaden will.
Wagt den ersten Schritt aus dem zerstörerischen Teufelskreis.
Andere wiederum: Segnet auch die, die euch immer wieder Steine in den Weg legen und gönnt ihnen Gutes.
Wieder andere: Strahlt Freude und Zuversicht aus, wo Mut und Hoffnung sinken.
Christsein heißt nicht, alles schwarz zu malen und zu sehen.
Dann sind da noch die für das Gebet. Sie zählen zu den wertvollsten:
Es gibt nichts, was ihr nicht vor Gott bringen dürft. Jederzeit, Tag und Nacht.
Auch eure Fragen nach dem, was seinem Willen entspricht. Im Großen wie im Kleinen.
Zuletzt noch: Nehmt wahr, dass ihr Beschenkte seid und nicht zu kurz kommt.
Warum lässt es sich so viel leichter über Mängel als über Gutes reden?
Warum setzt sich Negatives eher fest als Positives?
Vielleicht finden wir den Aufruf, dankbar zu sein, deshalb so oft in der Bibel, weil wir lieber schwarze Steine zählen.
Nicht nur neutestamentliche Briefe, auch Psalmen erinnern daran, dankbar zu sein, und laden dazu ein, mitzubeten, wenn wir mal wieder nur schwarzsehen und uns gerade die richtigen Worte fehlen.
Die schenkt uns der Heilige Geist, wenn wir ihm in unserem Leben Raum geben.
Er ist unverfügbar und weht, wo er will, und seine Kraft wirkt, wann und wie sie will.
Darauf sind wir auch angewiesen, wenn es darum geht, Ungerechtigkeit und Unrecht wahrzunehmen
und Stellung zu beziehen zu gesellschaftspolitischen und ethischen Fragestellungen.
Nicht ohne uns zuvor gewissenhaft damit auseinanderzusetzen, um gute und ernst zu nehmende Gesprächspartner zu sein.
Bei allem ist der Heilige Geist die treibende, sortierende und reinigende Kraft, die Bewegung ins Bild bringt, angedeutet durch die Kreise um den Siebrand.
Bei genauem Hinsehen entdecken wir ein goldenes Kreuz, das sich um diesen Rand erstreckt.
Es hebt dieses Sieb unter den unzähligen anderen hervor.
Darum geht es.
Nicht um Form, Größe, Beschaffenheit des Siebs oder Dichte des Gitterbodens.
Die sind so verschieden wie die Menschen selbst.
Das Kreuz macht den Unterschied.
Wird es sichtbar in unserem Leben?
Strahlen wir aus, dass wir Jesus nachfolgen und aus seiner Liebe und Vergebung leben?
Was gerade nicht heißt, dass wir glänzen und perfekt sein müssen.
„Prüft alles und behaltet das Gute!“, hat nichts mit Selbstoptimierung
und einem vermeintlich nach allen Seiten abgesicherten Leben zu tun.
Gottes Geist macht lebendig und schenkt uns die Freiheit, zu entdecken, wo unser Platz ist,
an dem wir Verantwortung übernehmen müssen und wo es Stellschrauben in unserem Leben gibt,
die wir justieren müssen.
Im Vertrauen darauf, dass Jesus auch dann zu uns steht und durch uns sichtbar wird,
wenn wir falsche Entscheidungen treffen oder Antworten schuldig bleiben.
Sogar dann, wenn wir ihn auf manchen Wegstrecken vergessen oder nicht damit rechnen, dass er uns führt und das Beste für uns will.
„Prüft alles und behaltet das Gute!“
Mein Wunsch ist es, dass Kinder und Enkelkinder mein Christsein so erleben, dass mein Glaube nie fertig ist, sondern lebendig bleibt.
Indem er mir immer wieder Freiräume eröffnet, entdecke ich Neues und auch Altes neu und traue mich, starre Positionen zu hinterfragen.
Daran möchte ich sie teilhaben lassen und mit ihnen darüber im Gespräch bleiben,
wie und warum ich die eine oder andere Entscheidung getroffen habe und noch treffe.
Vor allem anderen sollen sie für sich selbst entdecken, dass der Glaube Halt gibt im Leben und im Sterben.
So münden in der Grafik die unterbrochenen goldenen Linien hinein in eine Krone, die Gott für alle bereit hält, die sich ihm anvertrauen.
Ob die Krone nicht auch ein Hinweis darauf sein kann, dass es beim Prüfen und Behalten des Guten im Letzten um die Frage geht:
dient es dazu, Gott allein die Ehre zu geben?
Renate Karnstein
Dreieiniger Gott,
das würde ich so gerne, dir allein die Ehre geben,
dir in allem die Ehre geben.
Doch vieles hindert mich daran.
Am ehesten meine Gottvergessenheit.
Wenn ich nicht damit rechne, dass mein Leben für dich zählt,
mein oft so unscheinbares Tun von dir wertgeachtet wird.
So wert, dass es dir zur Ehre dienen,
dich groß machen kann.
Ehrlich gesagt, ertappe ich mich auch immer wieder dabei,
selbst glänzen und groß rauskommen zu wollen.
Nicht einmal das kann dich daran hindern, zu mir zu stehen.
Danke, dass du mir sortieren hilfst im Alltagswahnsinn
und mir nahe bist, wenn wichtige Entscheidungen anstehen.
Danke, dass du mir Orientierung schenkst, wo ich unsicher bin,
und Gelassenheit, wenn etwas schiefläuft.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Du bist der feste Grund, auf dem ich sicher stehe.
Dir allein die Ehre!
Amen.
Renate Karnstein